Heumahd

von Susanne Betz

Themen:

Natur  –  Berge  –  Emanzipation  –  Wahrnehmung  –  Sinnlichkeit  –  Gewalt  –  Liebe  –  Selbständigkeit

Inhalt:

Als König Ludwig II. 1886 im Starnberger See ums Leben kommt, sind die Menschen im Werdenfelser Land schockiert. Dass ihr Ehemann in einer eiskalten Nacht erfriert, empfindet Vroni Grasegger dagegen als großes Glück: Endlich ist sie nicht mehr seinen Misshandlungen ausgeliefert. Optimistisch übernimmt sie das Sagen auf dem einsamen, gegenüber dem Karwendel gelegenen Bergbauernhof und die Sorge für die behinderte Stieftochter Rosl. Harte Arbeit bei der Heumahd und Missernten bringen Vroni an ihre Grenzen, ebenso wie der Druck aus dem Dorf, dass sie wieder heiraten soll. Da begegnet sie dem Maler Wilhelm Leibl, den eine Schaffenskrise in die Berge führt – und auf Vronis Hof. Zwischen dem homosexuellen Künstler und der jungen Bäuerin entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft. Als Leibl dann noch einen englischen Arzt und Alpinisten mitbringt, verbreitet sich in dem kurzen Bergsommer eine ungekannte Leichtigkeit. Und Vroni schöpft vielfältige Hoffnungen …

Angaben zum Buch:

Titel: Heumahd
Autorin: Susanne Betz
Verlag: C.Bertelsmann
ISBN: 978-3-570-10345-6

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Kommentar:  

Ein bildmächtiger Roman über das einfache Leben einer eigensinnigen Bergbäuerin und ihrer Emanzipation:

Vroni Grasegger hatte keine schöne Kindheit. Als rechtloses Bastardkind hatte sie eigentlich keine würdige Daseinsberechtigung, war sie für ihren Ehemann nur interessant als zukünftige Mutter für seinen Stammhalter. Aber das klappte nicht, Vroni wurde nicht schwanger, auch tägliche Vergewaltigungen durch den brutalen Mann waren erfolglos. Deshalb war es eigentlich ein Glück, dass der Bergbauer früh ums Leben kam und Vroni so eine große Chance bekam, die sie zu nutzen wusste.

Harte Lebensumstände können intelligente Kinder zu klugen Menschen bilden. Vroni hat gelernt tüchtig zu arbeiten, zu organisieren und sie weiß, wie Menschen behandelt werden möchten. Genau das setzt sie ein als junge Witwe und kann sich so, unterstützt durch die Menschen, die sie mit dem Hof geerbt hat, erfolgreich gegen die Widernisse der Naturgewalten durchsetzen und sogar gegen die Männer, die in ihr eine gute Gelegenheit wittern, einen eigenen Hof zu erheiraten. Vroni hat sogar noch mehr Glück: Der Kunstmaler Wilhelm Leibl ist auf der Suche nach Modellen. Er hat sich auf die Portraits von einfachen Leuten spezialisiert und findet in Vroni eine schöne, aufrechte, eigenwillige Frau, deren Mimik und Bewegungen ihn faszinieren. Vor allem aber geht er respektvoll mit ihr um, als homosexueller Mann hat er kein Interesse an ihr als Frau und ermöglicht ihr so, ihre natürliche Neugierde auf die Welt auszuleben.

Dieses Buch ist eine selten schöne Schule für Menschen, die an Wahrnehmung interessiert sind. Junge Mädchen können der Autorin folgen und sich selbst und ihre Umwelt genau beobachten. Das ist auch für junge Männer sinnvoll, weil sie hier erfahren können, was sich andere Menschen wünschen, wie sie behandelt werden wollen. Am Beispiel der Beziehung von Vroni zu ihrer Stieftochter Rosl, deren Behinderung keine Belastung, sondern vor allem Freude ist für die junge Bäuerin, erkennt Vroni auch echte Freundschaft und kann klare Entscheidungen treffen, wer für sie als zukünftiger Mann wertvoll sein wird. Das alles ist auf den ersten Blick eine einzelne Emanzipationsgeschichte, tatsächlich aber eine immerwährend gültige. Die Welt hat sich im Laufe der letzten 120 Jahre äußerlich verändert, aber für Frauen gilt noch immer, was auch für Vroni entscheidend war: nur wer erkennt, wer die richtigen Freunde sind, kann sein Leben selbst bestimmen. Dafür öffnet dieser spannende Roman den Blick.

Hier für Leanders Lieblinge vorgestellt und empfohlen von Gabriele Hoffmann, LeseLeben e.V.

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